"Afrikanische Kolonialsoldaten im 1. Weltkrieg." Studentische Exkursion nach Verdun und Reims
11/21/2019Welchen Platz nehmen afrikanische Kolonialsoldaten in der heutigen französischen Erinnerungskultur ein? Sind diese sogenannten Tirailleurs Sénégalais an französischen Erinnerungsorten, auf Soldatenfriedhöfen und in aktuellen Museumsausstellungen mit Bezug zum 1. Weltkrieg (1914-1918) sichtbar?
Diese kulturwissenschaftlichen Fragen wurden im Rahmen einer studentischen Exkursion nach Verdun und Reims im November 2019 beantwortet. Geleitet wurde die viertägige Studienreise von Dr. Julien Bobineau, der als Assistent am Lehrstuhl für Französische und Italienische Literaturwissenschaft der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg lehrt und forscht.
Während des 1. Weltkrieges kämpften in der französischen Armee knapp 200.000 Kolonialsoldaten aus Subsahara-Afrika, dem Maghreb und Indochina gegen die deutschen Truppen und deren Verbündete. Die Perspektive dieser als Tirailleurs Sénégalais bezeichneten Soldaten erscheint in der französischen und europäischen Geschichtsschreibung sowie in der Erinnerungskultur allerdings bislang weitestgehend an den Rand gedrängt. "Die Tirailleurs Sénégalais kämpften meist gegen ihren Willen oder wurden vor dem Hintergrund falscher Versprechungen in einen Krieg gelockt, der nicht der ihre war", sagt Exkursionsleiter Bobineau vom Lehrstuhl für Französische und Italienische Literaturwissenschaft. An der JMU stellte er die Geschichte der Kolonialsoldaten im Rahmen eines Proseminars in den Mittelpunkt, das im WS 2018/19 unter dem Titel 'La Force Noire.' Imaginierungen afrikanischer Kolonialsoldaten in der frankophonen Literatur stattfand. Das Proseminar beschäftigte sich aus kultur- und literaturwissenschaftlicher Sicht mit dem Bild der Tirailleurs Sénégalais in Frankreich und Europa, stellte jedoch auch ausgewählte autobiographische Zeugnisse der afrikanischen Kolonialsoldaten in den Fokus der Betrachtung.
Kritische Auseinandersetzung mit Museen und Erinnerungsorten des 1. Weltkriegs
Während der Diskussionen um Kolonialismus, Aufarbeitung und Erinnerung in Frankreich entwickelte sich innerhalb des Seminars die Idee, die französische Erinnerungsdebatte im Rahmen einer Studienreise vor Ort zu analysieren. Schließlich fanden sich insgesamt sieben Studierende, die gemeinsam mit Bobineau die Exkursion zu den Schlachtfeldern des 1. Weltkriegs in Verdun und zu den Erinnerungsorten in Reims planten. Neben der Besichtigung von Soldatenfriedhöfen, Schützengräben, Denkmälern und Militärfestungen stand auch der kritische Besuch von Museen auf dem Programm. "Die Inhalte aus dem Proseminar haben meinen Blick auf die besuchten Erinnerungsorte und Museumsausstellungen stark verändert", resümiert Anna Traurig, die neben Französisch zudem Germanistik auf Lehramt studiert. So würden die Tirailleurs Sénégalais zwar gelegentlich genannt und erhielten zudem kleinere Monumente errichtet wie beispielsweise auf dem Soldatenfriedhof von Douaumont in der Nähe von Verdun, doch wirke deren Geschichte oftmals sehr undifferenziert, ergänzt Traurig: "Oftmals werden die Tirailleurs Sénégalais kollektiv als Muslime imaginiert, während vielerorts nicht zwischen der Herkunft der Kolonialsoldaten aus West- und Nordafrika, der Karibik, dem Pazifischen Ozean oder Indochina unterschieden wird. Für die Sichtbarkeit der Tirailleurs Sénégalais ist diese fehlende Differenzierung sehr problematisch."
Neue Erkenntnisse zu den deutsch-französischen Beziehungen
Auch wenn TeilnehmerInnen zu dem Fazit kamen, dass die heutige Bedeutung der Tirailleurs Sénégalais in Frankreich noch immer gering ist, so beeinflusste die Exkursion die Studierenden zusätzlich auf einer anderen Ebene: "Es war sehr beeindruckend, die französische Erinnerungskultur direkt vor Ort erleben zu können. Besonders berührt hat mich der Umstand, dass die Erinnerungsarbeit in Verdun vielerorts auf einer gemeinschaftlichen Aufarbeitung aus deutscher und französischer Sicht basiert", erklärt Benedikt Weigand, der Französisch und Geschichte an der JMU studiert. Es sei keine Seltenheit, dass nebst französischen Flaggen auch die Deutschland-Fahne zu sehen ist oder deutsch-französische Vereinigungen Monumente, Denkmäler oder Kriegsgräber gemeinsam in Stand halten, erzählt Weigand. Der Besuch der Kathedrale von Reims, deren Dachstuhl durch deutsche Bombenangriffe im 1. Weltkrieg komplett zerstört wurde, unterstrich diese Erkenntnis: Im Juli 1962 nahmen der französische Staatspräsident Charles de Gaulle und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer gemeinsam an einer Messe im Gedenken an die Zerstörung im 1. Weltkrieg teil, wovon noch heute eine Ausstellung im Kirchenschiff der renovierten Kathedrale zeugt.
Die Exkursion wurde durch das PROMOS-Stipendienprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) teilfinanziert. Weiterführende Informationen zum Programm: https://www.uni-wuerzburg.de/international/studieren-im-ausland/promos-stipendium/