Suggestive Selbsterzählungen italienischer Mystikerinnen: Angela da Foligno und Caterina da Siena
Date: | 11/19/2024, 7:30 PM - 9:00 PM |
Category: | Vortrag |
Location: | Residenzplatz 2 (Residenz), Toscanasaal / Online (Zoom) |
Organizer: | Kolleg Mittelalter und Frühe Neuzeit |
Speaker: | Prof. Dr. Martha Kleinhans (Neuphil. Institut/Romanistik) |
Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung des Kollegs "Mittelalter und Frühe Neuzeit"
Der vergleichende Blick auf zwei höchst unterschiedliche libri, diktiert von zwei ungleichen mittelalterlichen Heiligen, Angela da Foligno und Caterina da Siena, spürt den Gründen für die eigenartige Faszination nach, die diese beiden Selbsterzählungen noch heute ausstrahlen. Sowohl die im franziskanischen Kontext lebende Angela (?1248–1309?) als auch die im dominikanischen Milieu beheimatete Mantellatin Caterina da Siena (1347–1380) kleiden weibliche mystische Erfahrungen in eine neuartige Sprache. Angela da Folignos Memoriale stellt gerade durch seine diskontinuierliche Anlage und die Präsenz eines Ko-Autors, durch dessen linkische Transponierung des Gehörten ins Lateinische und durch den Wechsel von der Ich-Aussage der Mystikerin zum Sprechen über ihr Sprechen für Leser eine Herausforderung dar, wirkt aber nicht zuletzt dank der schonungslos erzählten Entwicklung zur Mystikerin und der transgressiven Sprachgewalt unmittelbar und packend. Caterina da Siena dagegen verfasste ihr Libro, auch Dialogo della Divina Provvidenza genannt, selbst in der Volkssprache. Es präsentiert eine hochreflektierte Summe von Caterinas spiritueller Lehre und folgt einem luziden dialogischen Aufbau. Erst Caterinas sehr persönliche Briefe an Raymund von Capua lassen erkennen, wie stark der Dialog zwischen der Prima Verità (Gott) und der anima eine Selbsterzählung ihrer lebenslangen mystischen Begegnung mit Gott verhüllt. Angelas Buch gewährt einen Blick in ein zerrissenes Ich, Caterinas Buch offenbart den Reformanspruch einer kirchenpolitischen Aktivistin und Moralistin, die mit ihrem Dialogo die Selbstermächtigung zur Autorin wagt. Je spezifische suggestive Sprachbilder in beiden Werken sprechen das Unaussprechliche der Extremerfahrung mystischer Ekstase aus, ermöglichen es, das inenarrabile sentimentum Dei sinnlich nachzuvollziehen.